München:

Das Schicksal jüdischer Juristinnen und Juristen der Bayerischen Justiz nach 1933 / Hochkarätig besetzte Diskussionsrunde im Münchner Justizpalast / Justizminister Eisenreich: „Menschenrechte, Frieden und Freiheit müssen wir Tag für Tag verteidigen.“

Sie waren Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, in Verwaltungen oder Notariaten tätig: Für 216 jüdische Bedienstete der bayerischen Justiz und bayerischer Notariate begann 1933 ein Leidensweg der Entrechtung. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: „Menschen, die ihr Leben in den Dienst des Rechts gestellt hatten, wurden selbst jeglicher Rechte beraubt, verfolgt oder sogar ermordet. Nur weil sie jüdischen Glaubens waren. Die menschenverachtende Pervertierung des Rechtsstaats durch das NS-Regime mahnt uns alle, dass wir Menschenrechte, Frieden und Freiheit Tag für Tag verteidigen müssen.“

Auf Einladung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung diskutiert heute (14. März) eine hochkarätig besetzte Runde im Münchner Justizpalast über das „Schicksal jüdischer Juristinnen und Juristen in der Bayerischen Justiz nach 1933“.

Staatsminister Georg Eisenreich: „Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland und auch in Bayern steigt seit einigen Jahren wieder. Es muss allen klar sein: Für Rassismus, Antisemitismus und Hass ist in unserer Gesellschaft kein Platz. Deshalb habe ich Oberstaatsanwalt Andreas Franck im vergangenen Oktober zum Zentralen Antisemitismus-Beauftragten der bayerischen Justiz ernannt.“

Der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Dr. Ludwig Spaenle: „Der Leidensweg von Juristen jüdischen Glaubens unter dem Unrechtssymbol des Hakenkreuzes auch in Bayern fügt sich lückenlos in die Geschichte des Umgangs der NS-Diktatur mit Jüdinnen und Juden überhaupt ein. Sie wurden systematisch entrechtet, deportiert und schließlich ermordet. Der NS-Jurist Carl Schmitt hat mit seiner Formel ‚Der Führer schützt das Recht‘ diese Entrechtung der Jüdinnen und Juden propagandistisch verharmlost und auch noch in übelster Weise zu rechtfertigen versucht. Gut, dass wir mit der Diskussion am 14. März einen weiteren Beitrag leisten können, diese Geschichte des Unrechts aufzuarbeiten und den einzelnen Menschen, die Leid ertragen mussten, ein Gesicht zu geben.“

Der Historiker und Archivoberrat Dr. Reinhard Weber stellt den Weg der Entrechtung dar. Dr. Reinhard Weber forscht seit Jahren zu jüdischen Bediensteten der Bayerischen Justiz in der Zeit des Dritten Reichs. Es ist sein besonderes Anliegen, Einzelschicksalen ein Gesicht zu geben. Er wertet daher in den Archiven derzeit auch historische Personalakten aus, in denen er Fotos der Betroffenen zu finden hofft.

Über den Umgang der bayerischen Justiz mit dem Erbe der NS-Diktatur und ihre persönlichen Erfahrungen sprechen Dr. h. c. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern, Dr. Ronen Steinke, promovierter Jurist, Autor und Innenpolitik-Redakteur für Sicherheit und Recht bei der Süddeutschen Zeitung sowie Oberstaatsanwalt Andreas Franck, der Zentrale Antisemitismus-Beauftragte der bayerischen Justiz.

Als Tochter eines von den Nationalsozialisten verfolgten bayerischen Rechtsanwalts wird sie über ihre persönlichen Erfahrungen berichten. Dr. h. c. Charlotte Knobloch: „Ich bin als Tochter eines Rechtsanwalts in einem Unrechtsstaat aufgewachsen und habe selbst miterlebt, wie wüst sich der Hass gegen jüdische Juristen Bahn brach. Mein gottseliger Vater überlebte die NS-Zeit – und fasste danach wieder Vertrauen in die deutsche Justiz. Dieses Vertrauen zu rechtfertigen, bleibt die dauerhafte Aufgabe der demokratischen Rechtspflege.“

Oberstaatsanwalt Andreas Franck: „Unsere jüdischen Kolleginnen und Kollegen, die sich als Richter und Staatsanwälte für das Recht einsetzten, wurden von einem Unrechtsstaat entrechtet und verfolgt. Es berührt uns und es ist uns ein Herzensanliegen, ihrer zu gedenken und die Erinnerung an sie wachzuhalten.“

Hintergrund:

Die bayerische Justiz geht mit einem Bündel an Maßnahmen gegen Antisemitismus vor – und hat frühzeitig schlagkräftige Ermittlungsstrukturen geschaffen.

2017 nahm die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München ihre Arbeit auf. Inzwischen wurde die Ermittlerzahl mehr als verdoppelt.

2018 wurden drei Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Justiz bei den drei Generalstaatsanwaltschaften München, Nürnberg und Bamberg eingesetzt.

Im Januar 2020 wurde Deutschlands erster Hate-Speech-Beauftragter vom bayerischen Justizminister zentral für ganz Bayern bestellt. Parallel dazu wurden Sonderdezernate für die Bekämpfung von Hate Speech bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften eingerichtet. Bei der Bekämpfung von Hasskriminalität kooperiert die bayerische Justiz mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM, „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“), mit kommunalen Spitzenverbänden und mit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern). Alle Kooperationspartner haben Zugang zu einem Online-Meldeverfahren für Online-Straftaten. Damit können Prüfbitten oder Anzeigen schnell und unkompliziert an die ZET übermittelt werden.

Im Oktober 2021 folgte die Ernennung von Oberstaatsanwalt Andreas Franck zum Zentralen Antisemitismusbeauftragten der bayerischen Justiz. Er ist hauptamtlich bei der „Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“ (ZET) der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt und übernimmt bayernweit antisemitische Verfahren mit besonderer Bedeutung.

Damit antisemitische Motive nicht im Dunkeln bleiben, haben die drei regionalen Antisemitismusbeauftragten der Generalstaatsanwaltschaften München, Nürnberg und Bamberg einen Leitfaden für Staatsanwälte entwickelt. Mit dem Leitfaden können antisemitische Motive leichter entschlüsselt werden (z.B. anhand von Nazi-Jahrestagen oder Codes).

Bayern hat als erstes Bundesland in Deutschland die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angenommen.

Bayern hat sich auch rechtspolitisch in Berlin eingesetzt: Eine judenfeindliche Motivation wird im Gesetz ausdrücklich als strafschärfendes Tatmerkmal genannt. Die Bundesregierung hat den Vorschlag aus dem Freistaat im Jahr 2020 aufgegriffen (§ 46 Absatz 2 Strafgesetzbuch).

Die bayerische Justiz erinnert:

Im Mai 2021 gab Minister Eisenreich den Startschuss für die Neugestaltung des Weiße-Rose-Saals im Münchner Justizpalast. In dem Saal fand am 19. April 1943 der zweite Prozess gegen die weiteren Mitglieder der Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl statt.

Der Verlag C.H. Beck hat Ende Juli 2021 angekündigt, juristische Standardwerke von Namensgebern, die in der NS-Zeit eine aktive Rolle gespielt haben, umzubenennen („Palandt“, „Schönfelder“, „Maunz/Dürig“). Justizminister Eisenreich hatte sich zuvor über Monate vertrauensvoll mit dem Verlag C.H. Beck ausgetauscht. Eisenreich: „Das ist eine bedeutsame Entscheidung. Die Umbenennung war notwendig: Namensgeber für Gesetzessammlungen und Kommentare müssen integre Persönlichkeiten sein. Keine Nationalsozialisten.“

Quelle: stmj.bayern.de

Von redaktion